Sperrklausel bei Europawahlen

3,5-Prozent-Hürde für größere EU-Staaten?

Bei Europawahlen gibt es kein einheitliches Wahlsystem. Die grundlegenden Prinzipien der Wahl stehen zwar fest - sie muss allgemein, frei, direkt und geheim sein und in allen EU-Staaten nach der Verhältniswahl ablaufen. Darüber hinaus gestalten jedoch die Länder die Europawahl unterschiedlich aus. Insbesondere auch in Bezug auf Sperrklauseln gibt es große Unterschiede. In etwa der Hälfte der EU-Mitgliedstaaten gibt es derzeit überhaupt keine Prozenthürde. In den restlichen Staaten ist die Schwelle wiederum unterschiedlich gesetzt. Das Europäische Parlament hat im Mai 2022 einen Vorschlag für eine EU-Wahlrechtsreform formuliert, der künftig unter anderem auch eine verbindliche Sperrklausel für alle größeren EU-Staaten vorsieht.

Was die Europawahl 2024 anbelangt, wird es in Deutschland keine Einführung einer Sperrklausel geben. Erst bei der nächsten Europawahl im Jahr 2029 soll eine Sperrrklausel wiedereingeführt werden, welche dann bei mindestens zwei Prozent liegen soll..

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Spitzenkandidatenprinzip

Was hat es mit dem Spitzenkandidatenprinzip bei Europawahlen auf sich?  Warum kam es bei der letzten Europawahl nicht zum Tragen? Sollte es künftig fest verankert werden?

Spitzenkandidatenprinzip

 

Transnationale Listen und Zweitstimme

Ein zentraler Punkt der geplanten Wahlrechtsreform ist die Einführung transnationaler Listen und einer Zweitstimme? Wie könnte dies funktionieren? Wie viele Mandate sollen drüber vergeben werden?

Transnationale Listen

EU-Wahlsystem

Wie ist das Wahlsystem bei den Wahlen zum Europäischen Parlament derzeit geregelt? Wie ist die aktuelle Sitzverteilung?

Wahlsystem

EU-Wahlrecht

Wie ist das Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament derzeit geregelt? Wie wird gewählt?

Wahlrecht

Was ist eine Sperrklausel?

Die Sperrklausel ist ein Mechanismus, der bei Verhältniswahlen zum Tragen kommt. Sie besagt, dass eine Partei oder eine Person nur dann ein Mandat erhält, wenn sie einen bestimmten prozentualen Stimmenanteil nicht unterschreitet. Sperrklauseln gibt es bei den verschiedensten Wahlen. Auch in Deutschland wird sie auf vielen Ebenen der politischen Willensbildung angewendet, so auch bei der Bundestagwahl und den Landtagswahlen.

Für Europawahlen sind sie in Artikel 3 des Direktwahlakts derzeit wie folgt vorgesehen:

„Für die Sitzvergabe können die Mitgliedstaaten eine Mindestschwelle festlegen. Diese Schwelle darf jedoch landesweit nicht mehr als 5 % der abgegebenen Stimmen betragen."

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Sperrklausel in Deutschland – seit Langem umstritten

Seit der ersten Direktwahl zum Europäischen Parlament (1979) gab es in Deutschland eine Fünfprozenthürde. Diese hat das Bundesverfassungsgericht 2011 jedoch gekippt und für verfassungswidrig erklärt. Im Vorfeld der Europawahl 2014 wurde in Deutschland schließlich zunächst eine Dreiprozentsperrklausel für Europawahlen beschlossen, die kurz darauf jedoch vom Bundesverfassungsgericht erneut rückgängig gemacht wurde. 19 kleinere Parteien sowie 1.000 Bürgerinnen und Bürger hatten erfolgreich geklagt. Die Sperrklausel verstoße gegen die Grundsätze der Chancengleichheit  der politischen Parteien und der Wahlrechtsgleichheit, erklärten die Richter bei der Urteilsverkündung. Die Situation im Europäischen Parlament sei eine andere als die im Deutschen Bundestag, „wo die Bildung einer stabilen Mehrheit für die Wahl einer handlungsfähigen Regierung und deren fortlaufende Unterstützung nötig ist“. Eine abweichende verfassungsrechtliche Beurteilung könne sich ergeben, wenn sich die Verhältnisse wesentlich änderten.

Der Europäische Rat hat sich im Juli 2018 nach Zustimmung des Europäischen Parlaments auf die Einführung einer Speerklausel für alle EU-Mitgliedsstaaten geeinigt, die mehr als 35 Sitze in einem Wahlkreis vergeben. Derlei Änderungen des Direktwahlakts müssen jedoch von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden, bevor sie Anwendung finden. In Deutschland bedarf es dazu einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder in Bundestag und Bundesrat. Diese Mehrheit konnte jedoch zunächst nicht erzielt werden. Im Februar 2019 erklärten die Fraktionen der Union und der Grünen, die Regelung über eine Sperrklausel werde im Bundestag vorerst nicht umgesetzt. Unter Verweis auf die Venedig-Konvention hätten die Grünen erklärt, dass sie für eine Umsetzung des Wahlaktes für die Europawahl 2019 nicht zur Verfügung stünden, so ein Sprecher der Unions-Fraktion.

Somit wurde sowohl die Europawahl 2014 als auch die im Jahr 2019 in Deutschland ohne Sperrklausel durchgeführt. Die Ampelregierung  hatte sich bereits 2021 im Koalitionsvertrag für die Einführung einer Sperrklausel auf europäischer Ebene ausgesprochen. „Wenn bis zum Sommer 2022 kein neuer Direktwahlakt vorliegt, wird Deutschland dem Direktwahlakt aus 2018 auf Grundlage eines Regierungsentwurfes zustimmen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Auch der bisherige  Direktwahlakt aus dem Jahr 2018 enthielt bereits Vorgaben für eine Sperrklausel. In Deutschland könnten also zwei Wege hin zu einer Sperrklausel auf europäischer Ebene führen: Entweder einigen sich das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten auf einen neuen Entwurf, also eine Sperrklausel plus transnationale Listen für die Zweitstimme – oder aber die Bundesregierung bedient sich der Zustimmung zum Vorgängerentwurf aus dem Jahr 2018.

Im Juni 2023 hat der  Bundestag hat mit der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit für die Einführung einer Sperrklausel von mindestens zwei Prozentbei der Europawahl gestimmt und somit den Weg frei gemacht für die Wiedereinführung einer Sperrklausel bei europäischen Wahlen. Bei Zustimmung aller Mitgliedstaaten wird der Gesetzesbeschluss in Kraft treten.

Chancen einer erneuten Klage vor dem Bundesverfassungsgericht

Sollte die europäische Sperrklausel in Deutschland nun ein drittes Mal beschlossen werden, dürfte sich das Bundesverfassungsgericht auch ein weiteres Mal mit der Frage der Zulässigkeit befassen müssen. Mit dem Weg über die EU-Ebene – es gilt in vielen Bereichen der Grundsatz „EU-Recht hat vor Vorrang vor nationalem Recht“ – werde versucht, den Einflussbereich des Bundesverfassungsgerichts zu umgehen, so die Kritiker der Sperrklausel.

Eine neuerliche Klage vor dem Bundesverfassungsgericht hätte jedoch nach Einschätzung des Rechtsexperten Mathias Ruffert weniger Aussicht auf Erfolg als die bisherigen Klagen:  „Die vorherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezogen sich auf ein Bundesgesetz, nämlich das Europagesetz und seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz.“ Die Richter in Karlsruhe könnten im Falle einer europarechtlichen  Regelung nur noch auf eine Verletzung der deutschen Verfassungsidentität hin prüfen. Und Sperrklauseln bei Wahlen seien grundsätzlich eher verfassungskonform. Schließlich würden sie in Deutschland sowohl für Bundes- als auch für Landtagswahlen gelten.

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Zukünftig 3,5 Prozent-Sperrklausel für alle größeren EU-Staaten?

Anfang Mai 2022 hat das EU-Parlament einen Vorschlag für eine Reform des Europawahlrechts eingebracht, welcher anderem auch die Einführung einer 3,5-Prozent-Sperrklausel in den bevölkerungsreichsten EU-Staaten vorsieht. Ab einer Anzahl von mehr als 60 Sitzen im EU-Parlament sollen Parteien künftig mindestens 3,5 Prozent der Stimmen benötigen, um ins Parlament einziehen zu können. Bevor die Vorschläge des EU-Parlaments jedoch Realität werden könnten, müssen die EU-Staaten noch zustimmen.

Hauptsächlich Deutschland betroffen

Da es in den anderen bevölkerungsreichen Staaten wie Frankreich und Italien bereits eine Sperrklausel gibt und Spanien mit derzeit 59 Sitzen knapp darunter liegt, würde sich de facto nur für Deutschland etwas ändern. Der Bundestag hat nun im Juni 2023 der deutschen Zustimmung zu einem neuen EU-Gesetz den Weg geebnet, das im Fall von Deutschland frühestens ab 2029 bei Europawahlen eine Hürde von mindestens zwei Prozent einbaut.Da sowohl das Europäische Parlament als auch der Deutsche Bundestag sich mit der Sperrklausel für Europawahlen befassen, laufen derzeit zweigleisige Gesetzgebungsverfahren.

Pro und Contra

Der Gegenwind kleinerer Parteien in Deutschland für ein solches Vorhaben ist seit Jahren groß, weil diese um ihre EU-Mandate bangen müssen. Große Parteien würden sich Sitze zulasten der kleinen sichern, zulasten der Repräsentation demokratischer Vielfalt, so der Vorwurf. Zwar sieht der Reformvorschlag eine Ausnahmeregel für Parteien vor, die in mindestens sieben EU-Ländern unter dem gleichen Namen antreten. Allerdings müssen diese EU-weit auf mindestens eine Million Stimmen kommen. Für Parteien wie Volt oder die ÖDP wäre das vermutlich eine schwer zu überwindende Hürde. Die Verkündung der geplanten Einführung einer 3,5-Prozent-Hürde löste somit deutliche Kritik aus. So hält etwa Damain Boeselager, Europaabgeordneter der Partei Volt eine Sperrklausel für einen „ungerechtfertigten Eingriff in das demokratische Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger, ihre politischen Präferenzen auszudrücken".

Befürworter halten einer Sperrklausel zugute, dass sie eine Zersplitterung des Parlaments verhindere. Sie würde dafür sorgen, dass in Deutschland Parteien mit einem niedrigen einstelligen Wahlergebnis wie derzeit die Satirepartei „Die Partei” und die rechtsextreme NPD keinen Sitz mehr im Europaparlament bekommen würden.

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